Chao Colombia, que te vaya bien – Abschlussbericht

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Am 14. August 2014 bin ich voller Vorfreude und Erwartungen in Kolumbien angekommen. In der Anfangszeit habe ich mich vor allem überwältigt gefühlt von all den neuen Eindrücken, Personen, Orten und der fremden Sprache, die ich kennen lernte.

Wenn ich jetzt, ein Jahr später, an meine Ankunft zurückdenke, dann fühlt es sich ähnlich an, wie wenn man als Abiturient an den ersten Schultag in der fünften Klasse zurückblickt. Verunsichert, ein wenig naiv und mit großen Augen steht man am Anfang von etwas Neuem. Doch schnell macht man sich diesen neuen Lebensabschnitt durch Neugierde und Tatendrang zu eigen und wenn man dann, so wie ich heute an meinem Abflugstag, auf die Zeit zurückblickt, fühlt man sich unglaublich bereichert.

Heute am Dienstag, den 11.08.2015, um 20.55 Uhr kolumbianischer Zeit (3:55 Uhr in Deutschland) geht mein Rückflug von Bogotá nach Frankfurt. Zwar steht im September noch ein Abschlussseminar an, doch das richtige Ende meines Auslandsjahres ist heute. Die letzten Wochen begleiteten mich sehr gemischte Gefühle. Auf der einen Seite tut es weh, Abschied zu nehmen hier in Kolumbien. Ich bin sicher, dass ich eines Tages für eine kürzere oder längere Zeit nach Kolumbien zurückkehren werde, doch mein „kolumbianisches Leben“ mit Freiwilligenarbeit und Gastfamilie, das endet heute unwiederruflich. Auf der anderen Seite fühle ich, dass es nach einem ganzen Jahr auch Zeit ist, wieder nach Hause zu kehren. Ich freue mich auf meine Familie, Freunde, mein Zuhause, das Essen, den Sommer, auf den neuen Lebensabschnitt, …

Dieses ist mein letzter Blogeintrag aus Kolumbien und zu diesem Anlass könnt ihr im Folgenden nun meinen Abschlussbericht lesen, den ich als Teil des weltwärts-Programmes geschrieben habe.

Überblick

Ein bisschen ist es so, als hätte ich mich gestern erst am Flughafen in Frankfurt von meiner Familie verabschiedet. Ein bisschen ist es aber auch so, als ob ich schon viele Jahre in Kolumbien lebe – gemessen an der großen Anzahl der Erfahrungen und Reisen, die ich in den vergangen zwölf Monaten gemacht habe.

Nachdem ich mich nach den ersten sechs Monaten schon ganz gut eingelebt hatte, kamen in der zweiten Hälfte meines Freiwilligendienstes einige Veränderungen auf mich zu, denn im Februar hatte ich sowohl Projekt als auch Gastfamilie gewechselt.

Meine drei Projekte

Mit meinem ursprünglichen Projekt an der Universidad Nacional war ich zwar nicht direkt unzufrieden, allerdings hatte ich das Gefühl die Erfahrung sozialer Arbeit zu verpassen, da meine Aufgaben ausschließlich in Büroarbeit lagen. Statt einem bekam ich gleich zwei neue Projekte. Drei Tage in der Woche war ich im Hogar de Encuentro einem staatlich finanzierten Projekt der Organisation ACJ, das gefährdete Kinder und Jugendliche vor oder nach der Schule betreut. Neben einem warmen Mittagessen, einem Snack und Hausaufgabenhilfe werden den Kindern und Jugendlichen Aktivitäten zur Persönlichkeitsbildung, Drogenprävention, etc. geboten. Die anderen zwei Tage der Woche habe ich in dem privaten Kindergarten Formamos personitas verbracht. Insgesamt war ich mit dem Projektwechsel sehr zufrieden, da ich so in sehr unterschiedliche Projekte und Tätigkeitsbereiche Einblick erhalten habe.

In meinem Projekt an der Universidad Nacional habe ich im Büro am Computer gearbeitet und kleine und größere Zuarbeiten für die Angestellten erledigt. Wenn es ab und zu Veranstaltungen für die StudentInnen gab, habe ich diese begleitet und zweimal selbst einen Vortrag gehalten. Ich denke, dass die Aufgabenbereiche von zukünftigen Freiwilligen ähnlich aussehen würden. Es gibt durchaus ein Ambiente, in dem eigene Ideen und Projekte diskutiert und verwirklicht werden können, ich selbst habe aber neben den bereits durchgeführten Angeboten für die StudentInnen keine weiteren Notwendigkeiten gesehen. Mit der Arbeit im Team habe ich an der Universidad Nacional gute Erfahrungen gemacht und so konnte ich, besonders nach der Einarbeitsungsphase und sobald sich meine Spanischkenntnisse verbessert hatten, mich gut in die Vorbereitung des ersten Semesters 2015 einbringen. Durch meine Mitarbeit habe ich so bewirkt, dass die Angestellten entlastet wurden.

Im Hogar de Encuentro bestanden meine Aufgaben vor allem aus der Mitarbeit in der Küche, aber auch aus Hausaufgabenhilfe und kleineren Bürotätigkeiten. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit die PädagogInnen direkt in ihrer Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen zu unterstützen oder eigene Aktivitäten mit ihnen durchzuführen, allerdings habe ich den Tagesablauf als sehr eng getaktet und durchgeplant wahrgenommen, sodass ich nicht wüsste, wann Zeit ist, um eigene Ideen zu verwirklichen. Zudem planen die PädagogInnen ihre Aktivitäten selbst schon so gut, dass lediglich kleine logistische Hilfen notwendig sind. In der Küche hingegen wurde meine Hilfe wirklich gebraucht. Regelmäßig habe ich den Fruchtsaft und Salate für das Mittagessen zubereitet. Außerdem habe ich mich jeden Donnerstag, wenn der Einkauf geliefert wird, darum gekümmert, die Lieferung anzunehmen, die Waren zu kennzeichnen und im Vorratsraum in die Regale einzusortieren. Diese Aufgaben habe ich in der Regel alleine erledigt. Zur Essenszeit war jedoch Teamarbeit gefragt, um das Essen schnell an alle Kinder und Jugendliche zu servieren. Dabei habe ich stets gute Erfahrungen gemacht und mit den KollegInnen Hand in Hand zusammen gearbeitet. Ein Aspekt, den ich jedoch als störend empfunden habe, ist, dass aus meiner Sicht leicht lösbare Probleme von meinen Kolleginnen aus der Küche nicht gelöst, sondern sich nur darüber beklagt wurde. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass dieses Verhalten auch auf die projektinnere Hierarchie und den daraus resultierenden Respekt / bzw. Angst vor der Chefin zurückzuführen ist. Insgesamt war die Arbeit im Hogar de Encuentro jedoch eine sehr positive Erfahrung. Ich konnte die Küchenfrauen entlasten und ab und zu auch Kindern bei den Hausaufgaben weiterhelfen. Zudem konnte ich meine Kreativität beim Gestalten eines großen Geburtstagskalenders einbringen. Mir wurde für meine Hilfe große Dankbarkeit entgegengebracht und ich habe gelernt, wie positiv regelmäßiges Bedanken die Motivation und Arbeitsatmosphäre beeinflusst.

Im Kindergarten habe ich neben der Unterstützung des normalen Tagesablaufs Englischunterricht für die Kinder im Alter von 2-5 Jahren gegeben. Die Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen hat dabei gut funktioniert. Für die Englischstunden wurde mir jeweils vorher das Thema der Stunde gesagt, sodass ich den Unterricht selbstständig planen konnte. Außerhalb des Unterrichts konnte ich den Erzieherinnen gut unter die Arme greifen, sodass sie zwischendurch kurz verschnaufen konnten und sei es nur um selbst auf Toilette zu gehen. Ich hatte immer das Gefühl, dass mir viel zugetraut und viel Vertrauen entgegen gebracht wird.

Insgesamt ist wohl das Wichtigste, das ich während meines Freiwilligendienstes bewirken konnte, die Entlastung der Fachkräfte in den jeweiligen Projekten. Ich denke, dass ich damit meine Funktion als Freiwillige gut genutzt habe.

Gastfamilie und Integration

Durch einen Umzug meiner Gastfamilie brauchte ich jeden Morgen bis zu zwei Stunden zum Projekt – ein Umstand, der mich auf die Dauer viele Nerven gekostet hat. Der Gastfamilienwechsel hat meinen Arbeitsweg und meine Verkehrsanbindung deutlich verbessert. So richtig zuhause und integriert gefühlt habe ich mich in der neuen Gastfamilie durch (gegenseitiges) Desinteresse allerdings nie. Mein Verhältnis zu der Familie glich eher dem einer Untermieterin. Einerseits hatte ich so meine Freiheiten, andererseits bedeutete das auch, dass ich, wenn ich zuhause war, immer alleine war. Zum Glück konnte ich den Kontakt und das gute Verhältnis zu meiner ersten Gastfamilie aufrechterhalten, sodass ich weiterhin eine Familie in Kolumbien hatte und habe.

Dank meiner ersten Gastfamilie, meinen KollegInnen der Uni und meinem Freund konnte ich mich gut in der kolumbianischen Kultur zurechtfinden. Ein großes soziales Umfeld mit vielen FreundInnen habe ich während dem Jahr nicht aufgebaut, dennoch fühle ich mich sozial ganz gut integriert. Besonders nach meinem Projektwechsel habe ich festgestellt, dass es durch meine zu diesem Zeitpunkt schon fortgeschrittenen Spanischkenntnisse einfacher war, Kontakte zu knüpfen und es sehr viel schneller ging als am Anfang eine Beziehung zu meinen KollegInnen aufzubauen.

Erwartungen und Realität

Oft habe ich auf die Frage nach meinen Erwartungen im Vorfeld des Freiwilligendienstes gesagt, dass ich gar keine konkreten Erwartungen habe. Im Nachhinein kann ich jedoch schon sagen, dass ich eine ganze Menge sehr konkreter Erwartungen hatte. Ich ging davon aus in einer Gastfamilie zu leben, in einem sozialen Projekt zu arbeiten, dabei Spanisch zu lernen, zu reisen und insgesamt ganz viele neue Erfahrungen zu machen. All dies ist auch so eingetroffen. Jetzt weiß ich, dass das, was ich vorher eigentlich sagen wollte, etwas anderes ist. Zwar hatte ich Erwartungen. Ich hatte jedoch keine konkrete Vorstellung davon, wie mein Leben in Kolumbien in den Details aussehen, wie ich mich fühlen würde. Die Rahmenbedingungen sind allerdings schon so geworden, wie ich es erwartet habe.

Womit ich hingegen nicht gerechnet hatte, war mein Projektwechsel. Vorher hatte ich damit gerechnet im Bildungsbereich mit Jugendlichen zu arbeiten und Englisch zu unterrichten. Arbeit mit kleinen Kindern konnte ich mir für mich selbst nicht vorstellen. Insofern war mein Projektwechsel eine große Bereicherung für mich, da ich so Einblicke in die Arbeit mit (kleinen) Kindern und in der Küche bekommen konnte. Ich bin sehr froh, über diese zusätzlichen Erfahrungen, denn vorher hatte ich mir diese Arbeiten selbst nicht zugetraut.

Nach dem Wechsel habe ich viel darüber nachgedacht, ob es die richtige Entscheidung war. Jetzt im Nachhinein kann ich sagen, dass es die beste Entscheidung war, zu wechseln. Auch sonst gibt es wenig, das ich anders hätte machen wollen.  Sicherlich, ich hätte mehr auf meine zweite Gastfamilie zugehen können, doch ein wirkliches Interesse hatte ich daran nie. Das Einzige, das ich bereue, ist an dem Tag, als mein Rucksack geklaut wurde, nicht besser auf selbigen aufgepasst zu haben.

Freiwilligendienst als Lerndienst

Weltwärts beschreibt sich selbst als Lerndienst, dieser Beschreibung kann ich im Bezug auf meinen Freiwilligendienst vollkommen zustimmen. So habe ich auf den unterschiedlichsten Ebenen durch die Arbeit im Projekt, das Leben in einer Gastfamilie und das Kennenlernen der kolumbianischen Kultur Erfahrungen sammeln und dazu lernen können.

Was wohl am meisten heraussticht, ist das Erlernen der Sprache Spanisch. Ohne nennenswerte Vorkenntnisse bin ich vor einem Jahr in Kolumbien angekommen. Auf dem Zwischen- und dem Abschlussseminar hat sich gezeigt, dass ich genauso wie alle anderen Freiwilligen mittlerweile gute Spanischkenntnisse habe. Auch wenn die spanische Grammatik definitiv nicht zu meinen Stärken gehört, so konnte ich mich doch in allen Alltags- und Arbeitssituationen auf Spanisch gut zurechtfinden und mich flüssig sprechend verständlich machen.

Im Kindergarten konnte ich erste Erfahrungen im pädagogischen Bereich sammeln und habe gelernt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder einzugehen und mit Gruppen zu arbeiten. Bei der Arbeit in der Küche bekam ich tiefere Einblicke in die Zubereitung kolumbianischer Gerichte. Außerdem habe ich gelernt für große Gruppen zu kochen und Mengen möglichst exakt einzuschätzen. Durch die Arbeit in diesen für mich bisher unbekannten Bereichen, habe ich auch gelernt, welch große Leistung hinter den Berufen steht.

Auf der interkulturellen Ebene bin ich auf verschiedene Themen aufmerksam geworden. Hierbei ging es mir vielfach so, dass ich Situationen mitbekam oder erlebte, die mir bereits bekannte Sachverhalte besser verständlich machten. So wusste ich natürlich auch vor meinem Auslandsjahr schon, dass Stereotype und Vorurteile einfältig sind und maximal eine Geschichte von vielen erzählen. Doch wenn man diese Vorurteile einem Jahr lang einem Realitätscheck unterzieht, gelangt man zu einem tieferen Verständnis dieser Einsicht. Dazu trägt auch bei, Stereotype und Vorurteile über Deutsche selbst vorgehalten zu bekommen. Dass Aussagen wie: „Alle Deutschen sind groß und haben blaue Augen“ keinen wirklichen Informationsgehalt haben, ist schnell klar. Durch solche Konfrontationen fällt es leichter eigene Stereotype und Vorurteile beiseite zu legen und offen der Pluralität der kolumbianischen Gesellschaft zu begegnen.

Dass ich mich glücklich schätzen kann, mit einem deutschen Pass und allen weiteren dazugehörigen Privilegien geboren zu sein, das wusste ich auch vor über einem Jahr schon. Mein aktives Bewusstsein für Privilegien wie eine kostenlose UND qualitativ gut Schulbildung, staatliche Sozialleistungen, etc. ist dadurch gestiegen, in meinen Projekten täglich Menschen zu begegnen, die solche und andere Privilegien nicht genießen. Zudem werden in Kolumbien starke Unterschiede zwischen den sozialen Schichten deutlich. Es besteht eine große Chancenungleichheit innerhalb der kolumbianischen Gesellschaft.

Neben dem Bewusstsein für meine Privilegien habe ich aber auch ein Gefühl dafür bekommen, wie sehr ich selbst von meiner Herkunft geprägt bin. Und mit der Erkenntnis, dass ich mich selbst als Deutsche identifiziere und mich in Deutschland zuhause fühle, fällt die Rückkehr trotz allem Abschiedsschmerz gleich ein wenig leichter.

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